„We hit ’em up“: 90er Hip-Hop zwischen West & East Coast

In den 1990er Jahren gelang es Hip-Hop, seinen Status als Untergrundkultur zu überwinden und weltweit in den Charts zu landen. Der Mainstream-Erfolg des Hip-Hops ist mit der Geschichte eines berühmten Konflikts verbunden: dem zwischen dem East Coast und dem West Coast Hip-Hop der USA. Wir verfolgen die Etappen und Strömungen eines für die Hip-Hop-Musik besonders spannenden Jahrzehnts.

Die Ursprünge des Hip-Hops

Zunächst etwas Klarheit: Hip-Hop ist eine künstlerische und kulturelle Bewegung, die in den 1970er Jahren in den USA entstand. Der Begriff bezieht sich nicht nur auf den Rap (den rhythmischen Gesangsstil) und auf das DJing (die Kunst des Abmischens von Platten, auf denen Rapper singen), sondern umfasst auch Graffiti und Breakdance.

Die Einflüsse und Ereignisse, die zur Entstehung von Hip-Hop geführt haben, sind vielfältig und schwer zu ordnen. Aus diesem Grund wurde ein symbolisches Datum für die Anfänge des Genres gewählt: der 11. August 1973. An diesem Tag organisierte der aus Jamaika stammende DJ Kool Herc die erste Hip-Hop-Party der Geschichte.

Der genaue Ort, an dem der Stil entstand, ist jedoch leicht zu finden: Hip-Hop wurde in der Bronx geboren, einem armen Stadtteil von New York, hauptsächlich von Afroamerikanern und Latinos bewohnt. So entstand der Hip-Hop als künstlerische Antwort der dort lebenden jungen Menschen auf das Elend und die täglich erfahrbare Diskriminierung.

In den Anfängen der Hip-Hop-Musik wird nur mit Schallplatten experimentiert. Neben Kool Herc tragen auch andere Hip-Hop-Legenden wie Grandmaster Flesh dazu bei, neue Wege zu finden, um mehrere Platten ohne Unterbrechung abzuspielen (z. B. durch die Erfindung des Scratchings), sodass Menschen die ganze Nacht durchtanzen können.

Zu den DJs, die mit Schallplatten experimentieren, gesellen sich dann MCs, d. h. Masters of Ceremonies, die die Musik mit Worten begleiten. Aus einfachen aufrüttelnden Worten beginnen die MCs, im Rhythmus der Musik zu sprechen, Reime zu verwenden und nach einem „Flow“ zu suchen. Sie erfinden so das, was wir heute als Rap kennen.

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Aus Funk wird Hip-Hop: „King Tim III (Personality Jock)“ (1979) der Fatback Band gilt als erste Hip-Hop-Single der Geschichte.

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Ebenfalls 1979: Mit „Rapper’s Delight“ macht die Sugarhill Gang den Hip-Hop-Stil erstmals berühmt.

90er Hip-Hop: Von Underground zum internationalen Erfolg

Es dauert nicht lange, bis die Hip-Hop-Innovation die Blockpartys in der Bronx verlässt und ein breiteres Publikum erreicht. Doch obwohl sich der Hip-Hop bereits in den 1980er Jahren kulturell und kommerziell etabliert hat, ist es das nachfolgende Jahrzehnt, das einen Wendepunkt darstellt: Nun werden die Rapper zu echten Superstars.

Die stilistische Entwicklung des 90er Hip-Hops ist beeindruckend, aber seine Geschichte ist nicht nur die von Chartstürmern oder Innovationen. Es ist auch das Jahrzehnt der aggressivsten Gewalt zwischen den verschiedenen Crews – Gewalt, die zur Ermordung zweier Legenden des Hip-Hops führt: 2Pac und The Notorious B.I.G. Diesen Konflikt zu verstehen, ist entscheidend, um die Geschichte des Hip-Hops der 90er Jahre nachzuvollziehen.

West Coast Hip-Hop: Gangsta Rap und G-Funk

Starten wir mit der West Coast, wo die große Hip-Hop-Welle kurz nach der Veröffentlichung des N.W.A-Albums Straight Outta Compton 1988 beginnt. Compton ist eines der ärmsten und berüchtigtsten Viertel von Los Angeles. Auf dem Album schildert das rappende Kollektiv seine alltägliche Realität ohne Zensur und erzählt wütend von Ungerechtigkeit, Polizeigewalt und Kriminalität.

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„You are now about to witness the strength of street knowledge“: N.W.A begründen den Gangsta Rap der US West Coast.

So wird der Gangsta-Rap geboren, ein Subgenre des Hip-Hops, das einen exorbitanten Einfluss auf das Musikgenre haben wird, der bis heute zu spüren ist. Die moralistische Aufforderung des G-Rap lautet „keep it real“: In Texten, Auftritten und im Leben müssen die Rapper der Straße treu bleiben. Berühmte Vertreter des Genres sind Eazy-E, Ice-T und Ice Cube.

Die Geschichte des Gangsterlebens auf der Straße elektrisiert Millionen von Teenagern in den USA, und das zweite Album von N.W.A, Efil4zaggin, wird das erste Hip-Hop-Album, das die Billboard-Charts anführt. Das Gleiche gilt jedoch nicht für die Radiosender, die den Hip-Hop wegen seiner unflätigen Sprache boykottieren.

Es ist Dr. Dre, eines der Mitglieder der inzwischen aufgelösten N.W.A, der dem West Coast Hip-Hop eine zugänglichere Dimension verleiht. 1992 gründet er das Label Death Row Records, mit dem er ein neues Subgenre des Hip-Hops produziert: G-Funk.

Beim G-Funk werden Funk-Grooves der P-Funk-Gruppen Parliament und Funkadelic gesampelt und entspannte Rhythmen kreiert. Die Texte beziehen sich immer noch auf die Gangster-Sphäre, drehen sich aber eher um Partys, Sex und Drogen als um Waffen und Verbrechen, was das Genre für Radiosender etwas zugänglicher macht.

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„Ain’t nothin‘ but a G thang“: Dr. Dre und Snoop Dogg verhelfen dem G-Funk zum Durchbruch.

Death Row Records hat viele bemerkenswerte Rapper hervorgebracht, darunter Snoop Dogg, Outlawz, MC Hammer und einen der unbestrittenen Stars des West Coast Hip-Hop: Tupac Shakur. 2Pac ist eine einzigartige Figur in der Szene. Ihm gelingt es, den Gangster(oder Thug)-Lifestyle mit einem revolutionären politischen Ideal der sozialen Gerechtigkeit und auch poetisch anspruchsvollen Texten zu verbinden. Als 1995 sein heutiges Kult-Album Me Against the World veröffentlicht wird, sitzt 2Pac im Gefängnis. Das Album erreicht die Spitze der Billboard-Charts und enthält weltweite Hits wie Dear Mama.

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„You are appreciated“: In der Hommage an seine Mutter verarbeitet 2Pac die Erfahrungen seiner Kindheit.

2Pacs künstlerische Geschichte ist eng mit dem Konflikt zwischen rivalisierenden Banden verbunden, der in den 1990er Jahren an der East und der West Coast der USA entflammt. Sein Song „Hit ’Em Up“ von 1996, in dem er East-Coast-Größen schmäht, steht exemplarisch für diese Rivalität. Die Schießerei, die 2Pac im selben Jahr tötet, ist nicht die erste, in die er verwickelt ist, aber sie beendet das Leben des 25-Jährigen und markiert einen der tragischsten Momente im Hip-Hop der 1990er Jahre.

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East Coast Hip-Hop: Hardcore Rap und Alternative Hip-Hop

Auf der anderen Seite der USA nimmt der Hip-Hop einen etwas anderen Verlauf. In New York, wo das Genre zwei Jahrzehnte zuvor seinen Ursprung hat, werden dank Audioschnittsoftware verschiedene Experimente durchgeführt. Künstler wie A Tribe Called Quest und De La Soul fügen Jazz- und R&B-Samples in ihre Tracks ein und schaffen damit das, was später als Jazz-Rap bekannt wird.

In ihren Texten geht es weniger um das Street Life als vielmehr um politische Themen wie soziale Ungerechtigkeit und Rassismus. Zusammen mit Rappern wie Mos Def, Talib Kweli und Common werden sie zu Vertretern des „Conscious Hip-Hop“, der die sozialen Probleme junger Afroamerikaner besingt. Zu den kommerziell erfolgreichsten Gruppen des East Coast Hip-Hop entwickeln sich die Fugees, von deren zweitem Album The Score (1996) weltweit über 20 Millionen Einheiten verkauft werden.

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„Refugees taking over“: Der Conscious Hip-Hop der Fugees erobert den Mainstream.

Das vielleicht bekannteste Hip-Hop-Subgenre, das an der East Coast entsteht, ist jedoch der Hardcore-Rap. Geprägt von aggressiven Texten und harten Beats, ist er zunächst nur ein Synonym für Gangsta-Rap. Doch mit dem 1993er Debüt-Album Enter the Wu-Tang (36 Chambers) von Wu-Tang Clan wird er zu einem eigenen Stil, der sich durch minimalistische Rhythmen und Samples von Streichern und Klavier auszeichnet.

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„Cash rules everything around me“: Wu-Tang Clan definieren den Hardcore-Hip-Hop der East Coast.

Auch Illmatic, das 1994er Album von Nas, das ihn als poetischen, talentierten Rapper etabliert, gehört zu diesem Genre. Ein weiteres Aushängeschild, das dem Hardcore-Rap zuzurechnen ist: The Notorious B.I.G. („Biggie“), dessen Talent, Erfolg und tragisches Schicksal eine Art Spiegel dessen ist, was 2Pac für die West Coast darstellt.

Biggies Debütalbum Ready To Die erscheint ebenfalls 1994 und enthält unsterbliche Tracks wie Big Poppa und Juicy. Das Album verkauft sich mehr als 4 Millionen Mal und macht Biggie zu einem Superstar. Als sein zweites Album 1997 veröffentlicht wird, ist Biggie bereits tot, auch er auf der Straße erschossen, mit gerade einmal 24 Jahren. Life After Death, das 16 Tage nach seinem Tod erscheint, ist eines der meistverkauften Hip-Hop-Album der Geschichte.

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„You never thought that Hip-Hop would take it this far“: Christopher Wallace alias The Notorious B.I.G. macht sich unsterblich.

Die zweite Hälfte der 1990er Jahre: Weniger Gewalt, mehr Erfolg

Erst Biggies Tod wird die Hip-Hop-Szene der 1990er Jahre endgültig umkrempeln: Der Konflikt zwischen West und East Coast Hip-Hop hat zu viel Opfer gekostet. Puff Daddy, der seinem Freund Biggie nach dessen Tod Benefizsongs widmet, ist der erste Hip-Hop-Star, der abseits der Straßengewalt Erfolg hat. An der East Coast lässt auch Jay-Z, Biggies ehemaliger Schützling, die Gewalttätigkeit seiner frühen Tage hinter sich, um mit Hard Knock Life (1998) einen Mainstream-Erfolg zu landen.

An der gegenüberliegenden Küste verlässt Dr. Dre Death Row Records und gründet das Label Aftermath Entertainment, mit dem er 1999 zum ersten Mal einen unbekannten Rapper aus Detroit veröffentlicht: Eminem. Eminem erzielt in den folgenden Jahren riesige Mainstream-Erfolge und wird schließlich zum meistverkauften Künstler der Musikgeschichte.

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„This opportunity comes once in a lifetime“: Eminem wird in den 2000ern zum erfolgreichsten Rapper aller Zeiten.

Mit diesem neuen Geist tritt der Hip-Hop in das neue Jahrtausend ein, lässt die Gewalt der Straße hinter sich und genießt die Früchte seines beispiellosen Erfolgs. Ganz sicher ist jener Konflikt, der zwei große Hip-Hop-Künstler das Leben kostete, auch Anprangerung eines gesellschaftlichen Missstandes. Durch die Auseinandersetzungen, Begegnungen und Bewegungen dieses Jahrzehnts erreichte Hip-Hop den künstlerischen und kommerziellen Status, den wir heute kennen.

Lesetipp: Beim Super Bowl 2022 traten in der Halbzeit mit Eminem, Snoop Dogg und Dr. Dre drei Hip-Hop-Superstars auf. Lies in unserem Blog mehr über die Super-Bowl-Halbzeitshows!

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Und heute? Hip-Hop ist Teil der Popkultur

Hip-Hop bzw. Rap hat sich seit den 1990er Jahren bis heute immer wieder mit anderen Musikstilen vermischt, sei es Pop, Rock, Metal, Jazz oder gar Klassik. So sind zahlreiche neue Untergenres entstanden, und gefühlt ist alles schon einmal dagewesen. Auch die deutsche Hip-Hop-Szene hat viele Stile, Skandale und Superstars hervorgebracht. Und so feiern auch noch in der Gegenwart junge Deutschrapper wie Kelvyn Colt oder Apache 207 große Erfolge. Hip-Hop ist längst ein fester Bestandteil der Popkultur.

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Lesetipp: Du liebst überschaubare Musikfestivals? Wir haben Tipps fürdich, welche kleinen Festivals in Deutschland du dir vormerken solltest – natürlich auch im Hip-Hop-Bereich. Und noch zwei Leckerbissen zum Schluss: unser Interview mit der Hiphop Kitchen Stuttgart und das mit dem im Schwarzwald lebenden Rapper Pikayzo.

Titelbild: Photo by Erin Song on Unsplash

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Teufel Blog Redaktion

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