Die Bildungsinitiative Ferhat Unvar wurde von Serpil Unvar, der Mutter des in Hanau bei dem furchtbaren Anschlag ums Leben gekommenen Ferhat Unvar gegründet. Teufel hat die Initiative gemeinsam mit der Künstlerin Anna Ehrenstein und der Zeitschrift MONOPOL bereits vor einiger Zeit durch ein Spendenaktion unterstützt, bei der jeder Spender und jede Spenderin automatisch an der Verlosung eines eigens für diesen Anlass erstellten Kunstwerkes von Anna und eines Teufel Speaker Sets teilgenommen hat. Die Spendenaktion ist erfolgreich beendet, aber die bewegenden Interviews mit Serpil Unvar und Anna Ehrenstein nach wie vor sehr lesenswert.
Serpil Unvar kämpft gegen das Vergessen
Teufel Blog: Serpil, hab vielen Dank, dass du die Zeit gefunden hast, uns für ein Interview zur Verfügung zu stehen. Wer steht hinter der Bildungsinitiative Ferhat Unvar und was hat sie bisher bewirken können?
Serpil: Ich habe die Bildungsinitiative am 14. November 2020 gegründet. Der 14. November ist Ferhats Geburtstag. Ich wollte ihm damit ein Geschenk machen und symbolisch meine Arbeit an diesem Tag beginnen. Seit diesem Tag haben wir hart gearbeitet. Wir haben ein Netzwerk mit Unterstützer:innen aufgebaut und unsere ersten Workshop-Konzepte entwickelt. Am Jahrestag des Anschlags in Hanau haben wir unsere ersten Workshops durchgeführt. Wir kämpfen gegen das Vergessen für eine bessere Welt der Vielen. Wir wollen in Schulen gehen und rassistisch motivierte Diskriminierung aktiv zum Thema machen.
Teufel Blog: Kannst du dir Ursachen für den hinterhältigen Anschlag, der neben acht Menschen auch Ferhat das Leben kostete, aus deiner Sicht erklären? Wie gehst du heute – mit etwas Abstand – damit um?
Serpil: Mit dem Verlust eines Kindes wird man nie richtig umgehen können und den Verlust meines Sohnes werde ich nie verkraften können. Ich denke jede Sekunde an ihn und spüre, dass er fehlt. Nicht nur mir, auch seinen Geschwistern und seinen Freund:innen. Es gibt leider nur eine Erklärung für seinen Tod: Hass. Hass auf Menschen, die migrantisch gelesen werden. Hass, der von Rassismus gefüttert wird. Und dieser Rassismus, der von Medien und von verschiedenen Politikern gefördert und verbreitet wird.
Es gab so viele Anzeichen, die man hätte ernst nehmen müssen
Teufel Blog: Hätte der feige Anschlag verhindert werden können?
Serpil: Sehr wahrscheinlich. Es gab so viele Anzeichen, die man hätte ernst nehmen müssen, und man hat es nicht getan. Der Täter war auffällig, hat Briefe an Behörden geschrieben und seine rassistischen Ansichten im Internet verbreitet. Warum er nicht überwacht wurde, ist eine Frage, die wir uns oft stellen.
Teufel Blog: Wie erinnerst du dich an Ferhat? Was hat den Menschen Ferhat ausgemacht?
Serpil: Ferhat war mein erstes Kind. Er war ein sehr begabtes Kind mit vielen Interessen. Er interessierte sich sehr für Mathematik und Philosophie und er las sehr gerne. Er war ein sehr tiefgründiger Mensch, der sich gerne über Gott und die Welt unterhalten und der viele Dinge hinterfragt hat. Er hat sich mit allen Menschen verstanden, egal welches Alter und welche Herkunft. Er kam mit allen Menschen aus und hatte sehr viel Humor. Er konnte von albern auf ernst innerhalb ein paar Sekunden umschalten und umgekehrt. Er war eine große Unterstützung für mich und auch für seine Geschwister, für die er fast wie ein Vater war.
Ich will Ferhats Problem lösen
Aber obwohl Ferhat ein so offener Mensch war, hatte er auch viele Probleme, die ihn stark belasteten. Er hatte viele Probleme mit der Schule, besonders mit der Schulpolitik. Er war der Meinung, dass die Schulleistung nichts über die Intelligenz eines Menschen aussagt. Ferhat musste in der Schule immer kämpfen und er musste sich oft Aussagen anhören, wie zum Beispiel „Du wirst nie etwas schaffen.“ Diese Aussagen nahmen ihm die Motivation weg. Trotzdem hat er nie aufgegeben und hat seine Ausbildung geschafft. Er hat nach dem Abschluss aber nicht gefeiert, weil für ihn die Schule ein Problem war, das er lösen musste. Deswegen habe ich es mir zur Aufgabe gemacht, antirassistische Bildungsarbeit zu machen. Ich will Ferhats Problem lösen. Nicht nur für Ferhat, sondern für alle Kinder, die mit solchen Problemen konfrontiert werden.
Teufel Blog: Musstest du persönlich auch Hass und Beleidigungen erfahren? Wie bist du damit umgegangen, wenn dein Sohn von solchen Erlebnissen erzählt hat?
Serpil: Ja, natürlich. Im täglichen Leben ist mir und meiner Familie oft Rassismus begegnet. Und ich habe lange geglaubt, dass das normal sei, weil ich eben Kurdin bin und nach Deutschland eingewandert bin. Deswegen habe ich leider oft nicht gut reagiert, wenn mir Ferhat von seinen schlechten Erfahrungen erzählt habe. Ich habe ihm oft gesagt, er muss einfach mehr leisten als die deutschen Kinder. Er muss den Rassismus aushalten. Heute weiß ich, dass das falsch war. Ich hätte ihn mehr unterstützen sollen und schon damals gegen Rassismus kämpfen sollen.
Teufel Blog: Was muss sich deiner Meinung nach ändern, damit solcher Terror zukünftig keinen Platz mehr haben wird?
Serpil: Unsere Gesellschaft muss sich grundlegend ändern. Antirassistische Arbeit muss in alle Lebensbereiche eindringen und die Strukturen unserer Gesellschaft verändern. Die Menschen müssen an die Menschenrechte und an die Grundrechte täglich erinnert werden. Gesellschaftliche Inklusion muss zur Norm werden. Alle Menschen müssen mitgedacht werden und die deutsche Mehrheitsgesellschaft muss akzeptieren, eine Gesellschaft der Vielfalt und Einwanderung zu sein.
Teufel Blog: Für welches Projekt werden die Erlöse eingesetzt werden? Kannst du unseren Lesern die Ziele der Initiative näherbringen?
Serpil: Wir möchten jungen Menschen und Müttern helfen, mit Rassismus-Erfahrungen umzugehen. Wir wollen daran arbeiten, dass unsere Kinder und Jugendlichen nicht mit einem Defizitblick betrachtet werden, sondern mit Potenzial. Potenzial, etwas zu verändern und die Welt mitzugestalten.
Hier setzen wir als Bildungsinitiative an und möchte Brücken zwischen Müttern, Kindern und Jugendlichen und Schulen bauen und Verständnis für ein „Miteinander“ in dieser Gesellschaft fördern. Das Ziel ist, nicht nur einzelne Menschen zu stärken und zu befähigen, sondern auch innerhalb verschiedener Strukturen, wie z.B. Schulen zu arbeiten, damit wir strukturelle Veränderungen erreichen können.
Wir wollen Schulen dabei unterstützen, neue Konzepte zu entwickeln und wir wollen engagierte Lehrer:innen stärken und ermutigen, dieses komplizierte Thema Rassismus mit ihren Schüler:innen gemeinsam anzugehen. Bei der Bildung und darüber hinaus an Schulen, der Polizei, den Arbeitsagenturen, Jugendämtern und anderen Behörden zu einer echten Auseinandersetzung mit ihrem eigenen, institutionellem Rassismus bewegen.
Momentan ist unser größtes Projekt unser eigener Raum. Dieser Raum soll ein sicherer Ort werden für Jugendliche, junge Erwachsene und Familien, die von Rassismus betroffen sind. Diesen Raum haben wir kürzlich bezogen und er wird gerade renoviert und dann eingerichtet. Dafür benötigen wir natürlich finanzielle Unterstützung. Außerdem wollen wir unsere jungen Erwachsenen mit digitalen Endgeräten für ihre Recherchearbeiten ausstatten, damit sie gut vorbereitet ihre Arbeit machen können.
Teufel Blog: Wenn du heute für Ferhat eine Playlist erstellen könntest, welche Songs wären dabei?
Serpil: Ferhat hat Musik geliebt. Er hat gerne gesungen und getanzt, ihm war es nie peinlich, sich zu bewegen und die Musik zu spüren. Sein Musikgeschmack war sehr vielfältig. Vor allem HipHop und Deutsch Rap hat er sehr geliebt. Das Label Azzlack und vor allem den Rapper Haftbefehl mochte er sehr. Aber auch Tupac, Luciano und Yung Kafa & Kücük Efendi. Aber er mochte auch türkische und kurdische Musik. Genauso wie er offen für alle Menschen war, war er auch offen für verschiedene Musikrichtungen und Kulturen.
Teufel Blog: Wie war die Zusammenarbeit mit Teufel als Unterstützer der Initiative?
Serpil: Am Anfang waren wir ein bisschen skeptisch, eine Kooperation mit einer Firma einzugehen, aber die Zusammenarbeit mit der Firma Teufel war sehr angenehm. Wir schätzen es sehr, dass wir ausgewählt wurden, dafür sind wir auch der Künstlerin Anna Ehrenstein sehr dankbar. Annas Collage ist toll geworden und wir hoffen, dass durch diese Aktion mehr Menschen in Deutschland auf unsere Bildungsinitiative aufmerksam werden.
Anna Ehrenstein über ihre Collage „Ferhat“
Annas Collage „Ferhat“ und Anna selbst genauer vorzustellen, hätte einen eigenen Blog verdient, doch hier im Beitrag soll die Initiative im Vordergrund stehen. So hat sich Anna nicht lange bitten lassen und ihre Collage für uns beschrieben.
Die Kunstprojekte von Anna Ehrenstein sind laut, grell und viel zu facettenreich, als dass sie sich in zweidimensionalen Fotos allein festhalten ließen. Dafür hat sie den C/O Berlin Talent Award erhalten.
Aus der F.A.Z. vom 3.1.2021
Teufel Blog: Anna, du arbeitest ja gern mit Collagen aus verschiedenen Materialien oder Objekten. Wie hast du dich hier dem Thema genähert und welche Kunstform hast du gewählt?
Anna: Die Arbeit „Ferhat“ 2021 ist eine Collage / Assemblage, die durch einen Hybrid aus physischer und digitaler Installation entstanden ist. Zwei Punkte machen den Kern der Arbeit aus: „near future — diasporientalism“ — ein Mash up der Sci-Fi Ästhetik, postmigrantische & kanackische Stereotype zu einer pan-mediterranen Utopie vereint. Das futuristische Design der Speaker von Rosenthal hat mich dazu inspiriert zu überlegen, wie „Südländische Kost“ in 2030 werben würde, die Collage ist das Resultat. Ich denke und spreche oft selbst um zwei Ecken, ein bisschen so wie samplen im Hip-Hop. Collagen und Assemblagen geben mir als Künstlerin die Möglichkeit, über meine Arbeit simultan persönliche Aussagen zu treffen und aus der Gesellschaft zu zitieren. Sie betonen die Konstruktion und Fragmentation von dem, was wir als Realität sehen.
Zukunftsorientierte Energie trotz tragischer Umstände
Teufel Blog: Welche Wirkung soll vom dem Kunstwerk ausgehen?
Anna: Für mich war es wichtig, eine Arbeit zu gestalten, die Bezug zu der Bildungsinitiative Ferhat Unvar hat
und trotz der tragischen Umstände eine zukunftsorientierte Energie mit sich trägt. So wie die Energie von
Ferhats Mutter Serpil, seinen Freunden. Die als Überlebende des rassistischen Anschlags in Hanau Zukunft gestalten,
sich nicht zum Opfer machen lassen, egal wie hart die Dominanzkultur daran arbeitet. Diasporientalismus, mein konzeptueller Bastard aus Diaspora und Orientalismus, beschreibt für mich wie die „orientalische“ Diaspora in Deutschland mit ihren Stereotypen spielen muss, um zu überleben.
Edward Said hat mit dem Buch „Orientalismus“ 1978 den eurozentrischen westlichen Blick auf die Gesellschaften des Nahen Ostens als einen „Stil der Herrschaft, Umstrukturierung und des Autoritätsbesitzes über den Orient“ bezeichnet. Die subtilen Gesten, die ein Überlegenheitsgefühl gegenüber „Südländern“ ausdrücken, kann man nicht nur in der Literatur, die Said analysiert hat, finden, sondern auch in alltäglichen Gesten, im Einzelhandel, in der urbanen Landschaft. Sich diese Gesten anzueignen ist Teil kanakischer Kultur in Deutschland, diese Geste sollte auch in dem Kunstwerk reflektiert werden.
Teufel Blog: Was hast du in Zukunft geplant?
Anna: Ich arbeite grade an meiner ersten Einzelausstellung mit KOW Berlin, welche im November 2021 stattfindet, dazu kommen Freunde von mir aus Lagos, Berlin und Delhi in mein Heimatland Albanien. Es sind supertalentierte Künstler und ich freue mir einen Ast, dass wir nach einem halben Jahr harter Arbeit eine Möglichkeit gefunden haben, gemeinsam trotz Pandemie und rassistischer Grenzpolitik einen Ort zu finden, an welchem wir gemeinsam physisch Arbeiten können.
Wir werden in dem Projekt über die Schnittstelle von digitalen Plattformen und Protest sprechen. Das ist eigentlich auch der einzige Zukunftsplan, den ich habe; unsere derzeitige Weltordnung lässt manchmal wirklich resignieren, aber dafür ist keine Zeit – also ist mein Ziel, meine Energie zu nutzen, um gemeinsam mit Freunden Unmögliches möglich zu machen, Macht-Dynamiken anzupissen, real bleiben, Gelerntes zu verlernen und dabei Spaß zu haben.
Teufel Blog: Anna, hab vielen Dank für das Interview und viel Erfolg im November. Wir schauen sicher mal vorbei!
Auch wir wollten ein Zeichen setzen
Als wir von der Möglichkeit erfuhren, die Bildungsinitiative zu unterstützen, haben wir nicht gezögert, sondern mit einem Teufel X Rosenthal eine Sachspende zur Verfügung gestellt, die als besonderes Dankeschön zusammen mit der Collage „Ferhat“ von Anna Ehrenstein unter allen Spender:innen verlost wurde.
Diese besonderen Lautsprecher sind nach dem Ende der Aktion bei den Gewinner:innen eingezogen. Du findest aber jede Menge andere hochwertige große WLAN-Lautsprecher in unserem Sortiment, die jede Art von Musik in optimaler Qualität wiedergeben.
Bunt wie du: Portable Bluetooth Speaker von Teufel
About: MONOPOL
Monopol ist ein seit 2004 in Deutschland monatlich erscheinendes Kunstmagazin. Neben dem Kernthema der zeitgenössischen Kunst gehören Artikel zu den Themen Design, Architektur, Mode, Literatur und Film zum Inhalt. Auch Monopol unterstützt als Medienpartner die Bildungsinitiative.
Linktipp: Monopol Webseite besuchen
Das Monopol-Magazin wurde im April 2004 von den ehemaligen FAZ-Redakteuren Amélie von Heydebreck und Florian Illies in Berlin gegründet, die es bis 2007 leiteten. Seitdem war der ehemalige Welt-am-Sonntag-Kulturredakteur Cornelius Tittel Chefredakteur; die Gründerpersonen blieben die Herausgeber. Von 2010 bis 2016 leitete Holger Liebs, vorher Kunstkritiker der Süddeutschen Zeitung, das Magazin als Chefredakteur. Ihm folgte Elke Buhr nach, vorher Kunstkritikerin bei der Frankfurter Rundschau und bereits seit 2008 als stellvertretende Chefredakteurin bei der Zeitschrift.
Monopol wurde zunächst vom 2003 gegründeten Juno Verlag herausgeben, der von Januar 2006 bis Mai 2016 zur Schweizer Ringier-Gruppe gehörte. Im Mai 2016 wurde das Magazin an Christoph Schwennicke, Chefredakteur von Cicero, und an dessen Stellvertreter Alexander Marguier verkauft. Diese geben seither beide Zeitschriften unter dem Dach der Res Publica Verlags GmbH heraus.
aus Wikipedia
Ferhat Unvar war einer von neun Menschen, die am 19. Februar 2020 von einem rechtsextremen Terroristen in Hanau erschossen wurden. In Erinnerung an ihn hat seine Mutter Serpil Temiz Unvar die Bildungsinitiative Ferhat Unvar gegründet, die Kindern, Jugendlichen, jungen Erwachsenen und deren Eltern, die rassistische Erfahrungen im Alltag oder in der Schule machen, eine Anlaufstelle bieten will. Die Stiftung bietet Workshops für betroffene Jugendliche und Lehrerinnen und Lehrer, sensibilisiert für Rassismus im Alltag und in Institutionen und setzt sich für ein friedliches Zusammenleben mit einer Vielfalt an Religionen, Kulturen und Nationalitäten ein.
Aus Monopol